In einer Welt in dem der Wettbewerb für Aufmerksamkeit immer radikaler wird, fesselt ein Fussballspiel Millionen von Menschen über Stunden an ein Spiel. Das ist nur möglich, weil der Fussball nach wie vor die besten Geschichten erzählt.
Gerade heute, ist Kritik an unsere Natistars nicht angebracht. Damit dieser Post funktioniert, muss ich aber damit anfangen. Denn, wenn ich ehrlich bin, ist bei mir wenig Identifikationspotential mit unseren Helden vorhanden. Das Gebaren der Schweizer Natistars gefällt mir nicht. Die Antworten auf die Fragen der Journalisten haben stets einen trotzigen Unterton. Ich erwarte von Profis so was sein zu lassen. Wenn man Kritik nicht verträgt, dann bleibt man von der Bühne fern. Auch wenn die Schweiz den EM-Titel gewinnt, werde ich nicht besser verstehen, warum man sich für einen Fussball Match die Haare blond färbt. Einen protzigen Boliden sucht man bei mir zu Hause vergebens. Diese Umstände haben dazugeführt, dass ich mit unseren Natistars mehr gelitten habe, als je zuvor. Meine Anspannung ist gestern ins Unerträgliche gestiegen. Im Gegensatz zu euch allen habe ich sogar auf einen Sieg der Schweiz getippt.
Für die Spannung einer Story ist es völlig irrelevant, ob sich das Publikum mit den Helden identifizieren kann.
Man muss lediglich verstehen, was ihre schlechten und guten Eigenschaften sind. Je mehr Ecken die Helden haben, desto interessanter werden sie. Die Kritiken und Auseinandersetzungen im Vorfeld des Spiels taten der Story nur Gutes. So hatten wir Zeit die Darsteller zu erleben. Jede Story handelt von Menschen, je mehr wir darüber wissen, desto besser. Das gemeinsame, unerreichbare Ziel müssen wir in dieser EM-Story nicht lange suchen. Diese Voraussetzung ist im Fussball aus der Natur des Spiels gegeben. Nur einer von 24 Teams gewinnt und wir alle wollen, dass die Schweiz gewinnt. Der unüberwindbare Feind hat gestern seine Rolle tadellos interpretiert.
Nur weil die Voraussetzungen für eine gute Story gegeben sind, bedeutet das noch lange nicht, dass sie funktioniert.
Damit ein Mensch sich über 180 Minuten auf eine Geschichte fokussiert braucht es weit mehr als nur eine empathische Beziehung zu den Charakteren. „Ein Ganzes ist, was Anfang, Mitte und Ende hat“. Dieser Satz hat Aristoteles 335 v. Chr. festgehalten und stellt immer noch das Fundament jedes Storytelling. Jede Story besteht aus Exposition, Komplikation, Klimax, Retardation und Auflösung. Dies ist nach wie vor das brauchbarste Mittel um den Empfänger in ein Wechselbad der Gefühle zu versetzen. Wissenschaftlich bedeutet es, dass der Empfänger von der Exposition bis zum Höhepunkt in steigende Stresssituationen (Cortisol Ausschüttung) versetzt werden muss. Je höher der Cortisol Wert, desto höher das Dopamin, das bei der Auflösung ausgeschüttet wird.
In der Exposition werden Ort, Zeit und Charaktere vorgestellt. In dieser Phase erzeugt Haris Seferovic mit seinem Kopfballtor den erregenden Moment, der die Handlung ins Rollen bringt. Zum Glück für die Geschichte verschiesst Ricardo Rodriguez den Elfmeter. Das ist der Startschuss für die Phase der Komplikation.
Der Feind erwacht und schlägt zu, immer wieder. Solange bis die Situation unserer Helden aussichtslos erscheint.
Alle bereiten sich auf die Tragödie vor. Die Helden machen aber eine Verwandlung durch und entscheiden sich für einen Wendepunkt. Mit einem weiteren Kopfballtor von Haris Seferovic und dem Tor von Mario Gavranovic kommt es zum Klimax. Die Geschichte ist jedoch nicht aufgelöst und das Ende nach wie vor ungewiss. In der Retardation (Verlängerung) plätschert die Geschichte dahin. Nicht ohne den einen oder anderen retardierenden Moment (Penaltyschiessen) parat zu halten. Keiner wird hier die Story verlassen. Wir alle müssen unseren Cortisol Wert loswerden. Dafür notwendig ist eine vernünftige Ladung Dopamin, die uns Yann Sommer mit seiner Parade als Auflösung beschert.
Literaturquellen:
Storytelling für Unternehmen, von Miriam Rupp
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